Freitag, 25. Januar 2013

Grüße

Nein, es soll nicht um die Grüße irgendwelcher Bekannten gehen, die ich regelmäßig irgendwelchen anderen Bekannten ausrichten soll. Die wären auch ein relativ langweiliges Thema, da sie nach dem simplen Schema "Gruß ausrichten, Gruß zurückausrichten" verlaufen.
Ich meine die Grüße, die man bspw. (möglicherweise fremden) Menschen auf der Straße entgegenbringt. In der Klinik, in der ich arbeite, grüße ich selber jeden Patienten. Dabei muss man sich wirklich konzentrieren, denn man will ja nicht ein und derselben Person drei Mal am Tag einen "guten Tag" wünschen. Den könnten sie zwar sicher gut gebrauchen, andererseits könnte bei ihnen auch eine gewisse Erwartungshaltung entstehen und sie würden sich mir gegenüber verpflichtet fühlen, einen guten Tag zu haben und Angst bekommen, mich zu enttäuschen, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass mein Wunsch, dass sie einen guten Tag erfahren, in Erfüllung geht, vermindert sein dürfte.
Interessant ist immer, welche Gefühle man selber im Moment empfindet und was man mit seinem empathischen Vermögen innerhalb weniger Sekunden in dem Gesicht und an dem nonverbalen Verhalten des zu Grüßenden zu erkennen vermag. Ich bin ein glücklicher Mensch und möchte, dass auch meine Mitmenschen glücklich sind. Also versuche ich, ihre Emotion schnell zu erfassen und ein kleines bisschen positiver zu spiegeln. Dabei gibt es aber gewisse Grenzwerte nach oben und nach unten, die nicht überschritten werden dürfen.
Auf einer Skala von 1 - 10, wobei 1 "extrem grimmig" und 10 "extrem euphorisch" darstellt, kann man sich das folgendermaßen vorstellen: begegnet mir gerade die erleichterte Patientin, die in ihrer ersten Gruppentherapie erfahren hat, dass nicht alle Männer in ihrem Leben sie schlagen und vergewaltigen wollen (also eine solide 7), grüße ich sie mit einer etwas positiveren 8. Kommt hingegen der überglückliche Patient, der denkt, alle seine Probleme seien nach einer Sitzung aus der Welt geschafft (also eine etwas weltfremde 10), dämpfe ich den Optimismus in meinem Gruß auf eine gutgewillte 8. Der niedergeschlagene Patientin, die nach ihrer ersten Sitzung denkt, keines ihrer Probleme lasse sich jemals lösen (mad propz an den Therapeuten, der eine traurige 1 zu verantworten hat), will man natürlich auch nicht mit gekünstelt wirkender, übertriebener Positivität vor den Kopf stoßen, weswegen sie eine neutrale 5 bekommt. Meine persönlichen Grenzwerte liegen also bei 5 (neutral; keine Lachmuskeln anspannen) und 8 (glücklich; Lachmuskeln soweit anspannen, dass man nicht das Gefühl von großem Aufwand hat und ein ehrliches Lächeln produziert). Selbstredend ist das auch abhängig davon, ob es mir gerade gut geht. Denn wenn mir selber nicht nach einer 8 ist, dann gebe ich die aus Authentizitätsgründen auch nicht aus. Damit müssen die glücklicheren Leute dann eben klarkommen. Das erscheint mir zu bewältigen zu sein.
Es ist schon eine Wissenschaft für sich. Natürlich kann man auch jedem Menschen eine 6 geben ohne sich großartig Gedanken zu machen. Man würde wohl im Alltag funktionieren und niemanden belästigen. Man muss sich ja nicht auf jede Person, die einem begegnet, einstellen, sich auch noch überlegen, wie man sich selber eigentlich gerade fühlt und hundertprozentig authentisch reagieren. Aber wenn man das nicht täte, wo bliebe dann der Spaß? In diesem Sinne wünsche ich viel Freude, aber nicht zu viel, beim zukünftigen Grüßen.
Guten Tag!

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